Bildnachweis: © Adrian Sonnberger

Tiefenpsychologie

— ein kurzer Einblick

Der folgende Text soll Ihnen helfen, schon im Vorfeld besser für sich entscheiden zu können, ob eine tiefenpsychologisch orientierte Therapie für Sie in Frage kommt. Die Informationen auf dieser Seite sind natürlich nicht als Ersatz für ein persönliches Aufklärungsgespräch gedacht. Begreifen Sie das Ganze bitte als einen groben Abriss über ein sehr komplexes Thema.


Anmerkung: Diversität und Geschlechter­gerechtigkeit sind mir überaus wichtig. Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass ich aus Gründen des Leseflusses nicht immer eine genderneutrale Formulierung verwende. Selbstverständlich sind stets alle Geschlechter und Identitäten gemeint.

Was ist Tiefenpsychologie?

Der Begriff Tiefenpsychologie (kurz: TP) vereint eine Gruppe von Verfahren, welche entweder aus der Freud'schen Psychoanalyse hervorgingen oder sich aus deren Parallelentwicklungen formten. Die Erforschung des Unbewussten einerseits und die Dynamik zwischen Seele, Körper und Umwelt andererseits nahmen bei den meisten tiefenpsychologischen Verfahren eine zentrale Rolle ein. Wichtige Begründer auch heute noch anerkannter Methodiken waren Sigmund Freud, Carl Gustav Jung und Alfred Adler.
 
Mit dem Aufkommen verhaltenstherapeutischer Methoden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verloren die tiefenpsychologischen Verfahren vorübergehend etwas an Bedeutung, obgleich sie nie völlig verschwanden. Auch heute noch zählen sie zu den allgemein als wirksam anerkannten Psychotherapiemethoden und erfreuen sich seit geraumer Zeit wieder zunehmender Beliebtheit.

Während sich die Psychoanalyse Freuds und die analytische Psychologie Jungs hauptsächlich der Sprache und Symbolik der Seele widmen, legt Adlers Individualpsychologie hingegen den Fokus auf die Dynamiken zwischenmenschlicher Beziehungen. Auch wenn die genannten Verfahren in Bezug auf Ursache und Wirkung von teils konträren Grundannahmen ausgehen, gilt es bei allen dreien, stark vereinfacht gesagt, wenigstens einem von zwei Idealzielen näher zu kommen:
 

  • Heilung/Linderung durch Verstehen
  • Heilung/Linderung durch Durcharbeiten

 
Anmerkung: Heilung sollte zwar angestrebt werden, kann jedoch niemals garantiert werden; nicht zuletzt ist sie mitunter einfach nicht möglich. Jeder, der ein Heilversprechen abgibt, ist in meinen Augen ein Scharlatan.

Wie funktioniert Tiefenpsychologie?

In der TP geht es weniger darum, konkrete Handlungsanweisungen oder vorgefertigte Lösungen zu präsentieren. Sie ist eher Hilfe zur Selbsthilfe durch annehmendes, wertfreies Verstehen und Durcharbeiten im geschützten Rahmen des therapeutischen Gesprächs.

Gemeinsam versuchen Therapeut und Patient, einen Bezug zwischen Lebens- und Leidensgeschichte herzustellen, indem seelische Zusammenhänge aufgezeigt und gedeutet werden, um so beim Patienten für ein besseres Verständnis für ihn selbst, sein Handeln und seine Krankheit zu sorgen. Dabei werden verdrängte, ungelöste bzw. nur zum Schein gelöste Konflikte aufgedeckt, mit dem Ziel, sie nach deren Bearbeitung passender und harmonischer in die Psyche zu reintegrieren.

Nach gängiger Lehrmeinung sind seelische und teils auch körperliche Erkrankungen Ausdruck unterdrückter, ungelöster Konflikte von teils hohem Symbolcharakter. Sogar der Volksmund kennt eine ganze Reihe von Redewendungen, in denen diese psychosomatischen Zusammenhänge versinnbildlicht werden: „die Nase vollhaben“, „an die Nieren gehen“, “auf den Magen schlagen“, um nur einige Beispiele zu nennen.

 

Eine tiefenpsychologische Behandlung setzt einerseits eine gewisse Grundsympathie zwischen Therapeut und Patient voraus, andererseits auch gute interpersonelle Fähigkeiten auf beiden Seiten. Eine offene, von Empathie und gänzlich wertfreiem Verständnis geprägte Grundhaltung des Therapeuten soll aktiv hierzu beitragen. Der Patient wird immer wieder dazu ermutigt, alles frei und ungefiltert zu erzählen – sei es scheinbar noch so nebensächlich, kontrovers oder gar beschämend. Auf persönliche Einstellungen, Werte und Gesinnungen des Therapeuten soll dabei keinerlei Rücksicht genommen werden.

 

Idealerweise erfüllt ein Patient in der TP folgende Voraussetzungen:

  • Einsicht, Leidensdruck, Motivation und Geduld
  • die Bereitschaft, frei und offen von sich zu erzählen
  • die Fähigkeit, über sich und das eigene Handeln reflektiert nachzudenken
  • die Bereitwilligkeit, unangenehme Erlebnisse in einer sicheren, vertrauensvollen Atmosphäre mental wieder zu erleben
  • und nicht zuletzt: Mut zur Veränderung

Wie wird die Behandlung durchgeführt?

Phase 1: Erstgespräch, Probatorik und Anamnese

Da gegenseitige Sympathie eine zentrale Rolle in jeder Form der Psychotherapie einnimmt, steht am Anfang des therapeutischen Prozesses stets das so genannte Erstgespräch, bei dem sich beide Seiten näher kennenlernen. Eventuell kann hier schon eine erste Verdachtsdiagnose gestellt werden.

 

Im nächsten Schritt werden einige probatorische Sitzungen vereinbart. Innerhalb dieser Zeit wird der Patient einer gründlichen Anamnese (wörtlich: „Rückerinnerung“) unterzogen, bei der die Lebens- und Leidensgeschichte nach mehr oder weniger standardisierten Kriterien erhoben werden. Psychologische Tests und häufig auch ein tabellarischer Lebenslauf komplettieren die Anamnese und helfen bei der Sicherung der endgültigen Diagnose.

Hiernach klärt der Therapeut den Patienten umfassend über sein Krankheitsbild auf und informiert auch über evtl. selbst nicht angebotenen Behandlungs­möglichkeiten – insbesondere, wenn sich abzeichnet, dass das eigene Verfahren anderen Methoden unterlegen wäre. In diesem Fall wäre eine Weiterverweisung an den entsprechenden Fachbereich vonnöten, da eine möglichst effiziente und für den Patienten leicht umzusetzende Behandlung stets Priorität hat. Falls eine medikamentöse Begleittherapie angezeigt oder gewünscht ist, wird fachärztliche Unterstützung hinzugezogen.

Phase 2: Therapieziel und Behandlungsplan

Sollte sich eine tiefenpsychologische Behandlung als das Mittel der Wahl herausstellen, wird mit dem Patienten ein gemeinsames, realistisches Therapieziel herausgearbeitet. Erst hiernach findet die eigentliche Therapie statt. Diese umfasst nicht selten auch das Erlernen eines Entspannungsverfahrens.

 

Wöchentlich werden ein bis zwei Behandlungssitzungen (manchmal auch Doppelsitzungen) vereinbart, idealerweise stets am selben Wochentag zur selben Uhrzeit, um dem therapeutischen Prozess einen festen Platz im Leben des Patienten zu geben.

Phase 3: Die eigentliche Therapie

Die Behandlung erfolgt zunächst im halbzugewandten Sitzen, später (ganz nach psychoanalytischem Vorbild) evtl. auch im Liegen ohne Blickkontakt – eine Option, die man dem Patienten je nach dessen Vorliebe offen lassen sollte.

 

Eine der zentralen Techniken psychoanalytisch orientierter Verfahren ist die so genannte freie Assoziation, eine Methodik, bei der ein Patient die Gedanken laufen lässt und ungefiltert alles erzählt, was ihm in den Sinn kommt. Hierdurch sollen verdrängte Erinnerungen und unbewusste Vorgänge der Seele aufgedeckt und mit therapeutischer Unterstützung im Bewussten gedeutet und bearbeitet werden. Auch die Analyse von Träumen kann ein wichtiges Element in der Therapie darstellen.

 

Im späteren Verlauf kommt es idealerweise einmal zu einem „magischen Moment“, bei dem der Patient einen alten, längst vergessen geglaubten Konflikt wiedererlebt. Nach Offenlegung dieses Traumas wird es gemeinsam mit dem Therapeuten im vertrauten und geschützten Rahmen des Therapiegesprächs bearbeitet. Ziel ist es, das seelische Trauma entweder hinter sich zu lassen oder wenigstens stimmiger und bewusster wieder in sich aufzunehmen. Der Patient soll also durch Verstehen und Durcharbeiten zumindest Linderung zu erfahren und im Bestfall ähnlich gelagerten Erfahrungen künftig gefestigter und reflektierter begegnen zu können.

Phase 4: Verabschiedung aus der Therapie

Zeichnet sich ab, dass der Patient seinem Therapieziel deutlich näher gekommen ist, werden die Abstände der Sitzungen peu à peu vergrößert, bis der Patient für sich entscheidet, dass er zukünftig ohne therapeutische Unterstützung auskommt. In einer letzten Sitzung werden die erreichten Veränderungen reflektiert und der Patient schließlich verabschiedet. Häufig werden noch einige wenige Kontrollsitzungen in mehrmonatigem Abstand vereinbart, um dem Patienten ein gewisses „Rückfallsnetz“ anzubieten.

Häufige Fragen

Welche Störungen lassen sich tiefenpsychologisch gut behandeln, welche nicht?

Diese Frage pauschal zu beantworten, ist nicht möglich, da der Erfolg einer tiefenpsychologischen Behandlung von mehreren Faktoren abhängt. Ein Patient sollte zuallererst in der Anamnese genau begutachtet werden, um nach deren Abschluss ein klares Für oder Wider aussprechen zu können.

Der Erfahrung nach lassen sich jedoch folgende Erkrankungen allgemein gut tiefenpsychologisch behandeln:

  • Anpassungsstörungen und depressive Reaktionen (z. B. Trauerfälle)
  • Dysthymien und viele anderen Formen der Depression
  • Essstörungen (insbes. Binge-Eating, Magersucht und Bulimie)
  • Angststörungen
  • Neurosen und Persönlichkeitsstörungen
  • Partnerschafts- und Familienprobleme
  • psychosomatische Erkrankungen (z. B. Herzangst)
  • Selbstwert- und Identitätsprobleme


Bei den folgenden Störungen und Komplikationen ist ein tiefenpsychologisches Verfahren häufig nicht die erste Wahl oder u. U. sogar kontraindiziert:

  • Abhängigkeitserkrankungen (z. B. Alkohol, Medikamente, Drogen)
  • bipolare oder manische Erkrankungen
  • Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis
  • isolierte Phobien (ohne andere psychische Begleiterkrankungen)
  • fehlende Therapiemotivation
  • Wahn, Halluzination und anderen psychotischen Störungen


Wie lange dauert die Behandlung?

Nicht nur für die TP, sondern auch für die meisten anderen Therapieverfahren gilt die Faustregel, dass unter 20 bis 25 Sitzungen keine gravierenden Änderungen zu erwarten sind. Dies entspricht bei wöchentlicher Therapiefrequenz einem Zeitraum von ca. sechs bis zwölf Monaten. Manche Patienten werden über Jahre hinweg begleitet (wenn auch in größeren Abständen), andere wiederum nur für die Dauer einer isolierten Krise.

Grundsätzlich ist vor allem Geduld gefordert, denn Leiden, das bei seiner Entstehung oft schon in Kindertagen „Anlauf“ nehmen konnte, lässt sich aus tiefenpsychologischer Sicht nicht innerhalb weniger Sitzungen zufriedenstellend behandeln.

Kann ich nach der Therapie wiederkommen?

Ein Therapieende bedeutet nicht, dass Sie zu einem späteren Zeitpunkt nicht wiederkommen können, z. B. wenn Sie sich einfach noch einmal aussprechen möchten oder sich neue Probleme ergeben haben.

Können wir uns duzen?

In den meisten Therapieformen, so auch in der TP, ist dies unüblich. Zwar wachsen mir meine Patienten mit der Zeit sehr ans Herz, doch ein professioneller Minimalabstand zu deren Problemen ist auch für meine eigene seelische Gesundheit und den gesamten therapeutischen Prozess unabdingbar.

Das Siezen hilft mir dabei, diesen Mindestabstand einzuhalten und ist zudem Ausdruck meines vollumfänglichen Respekts für Ihre Person.

Darf ich Sie an Familienangehörige oder nahe Freunde weiterempfehlen?

Dies ist nach gängiger Lehrmeinung nicht sinnvoll. Obwohl ich bereits der Pflicht zur absoluten Verschwiegenheit unterliege, untersagt die so genannte therapeutische Abstinenzregel explizit auch jeglichen Kontakt zu nahen Bezugspersonen eines Patienten. Vermischungen von Therapieinhalten und andere Verstrickungen sollen so vermieden werden. Ferner fordert die Abstinenzregel kein Zusammentreffen mit Patienten außerhalb des therapeutischen Settings.

Manchmal kann es durchaus sinnvoll sein, einen Familienangehörigen oder den Partner für ein bis zwei Sitzungen mit in die Therapie einzubeziehen, z. B. im Rahmen einer so genannten Fremdanamnese. Ein solches Angehörigengespräch erfolgt jedoch nach individueller Absprache und unterliegt klaren Regeln und Grenzen.

Gerne können Sie mich nach Abschluss Ihrer Therapie an entferntere Bekannte empfehlen oder auf einem Bewertungsportal (z. B. Jameda) eine Beurteilung hinterlassen.

Ich habe noch weitere Fragen…

Bitte zögern Sie nicht, sich mit mir in Verbindung zu setzten. Nutzen Sie hierfür am besten das Kontaktformular.

Begründer wichtiger Therapierichtungen

Bildnachweis: Max Halberstadt, 1921 [gemeinfrei]

Sigmund Freud (*1856-†1939)
Österreichischer Arzt und Tiefenpsychologe. Er war der Begründer der Psychoanalyse und gilt als einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts.

Bildnachweis: Wikimedia Commons [gemeinfrei]

Carl Gustav Jung (*1875-†1961)
Schweizer Arzt und Psychiater. Er war der Begründer der analytischen Psychologie, in der vor allem symbolische Ausdrucksmöglichkeiten des Unbewussten hervorgehoben werden.

Bildnachweis: Wikimedia Commons [gemeinfrei]

Alfred Adler (*1870-†1937)
Österreichischer Arzt und Psychotherapeut. Er war der Begründer der Individualpsychologie, die u. a. den Fokus auf die Bearbeitung menschlicher Beziehungen legt.